Wie brauchen Sonne UND Regen um Farben zu sehen...
Katharina 20.11.2021
Mit chronischen Schmerzen hat man meist das Gefühl fast nur im Regen zu stehen. Wenn sich jedoch zu den bereits vorhandenen Problemen dann auch noch eine weitere gesundheitliche Belastung dazugesellt, dann weiß man erst, dass doch mehr Sonne da war als man wahrgenommen hat.
Ich werde oft gefragt, wo ich die Disziplin hernehme all meinen Ritualen, Bedürfnissen und Aufgaben stets so strikt nachzukommen. Würde ich dies nicht tun, dann könnte ich wohl nicht hier sitzen um Zeilen über Zuversicht und Hoffnung zu schreiben. Denn "Gesundheit ist Disziplin" auch wenn es darum geht zumindest das Stück Gesundheit aufrecht zu erhalten, welches man noch "in der Hand hat". Ich habe mich selbst nie als sehr diszipliniert empfunden und hatte ständig das Gefühl schon im Kindesalter hier stets im Nachteil zu sein. Alles schien mir so durcheinander. Von meinen Gedanken bis hin zu den Signalen meines Körpers. Ich hatte stets das Gefühl, dass die Eigenschaft Disziplin einfach ihren Weg zu mir nicht gefunden hatte. Ich war der Annahme, dass man sie hat oder eben nicht hat. Da lag ich aber falsch. Auch wenn es mich fast 30 Jahre gekostet hat um dies heraus zu finden. Und die Antwort auf die Frage, warum ich meine hart erarbeitetet Disziplin verteidige wie ein Hund sein letztes Stück Knochen ist...Angst. Angst mich hilflos zu fühlen und auch Angst die Kontrolle zu verlieren.
Wenn man mit einer Vielzahl an funktionellen Störungen zu kämpfen hat, dann fällt man in eine Ohnmacht und ruft jedem Tag entgegen "Bitte! Lass es einen Guten werden." Man traut sich dann in der Früh fast die Augen nicht zu öffnen und blinzelt einmal ganz vorsichtig zur Decke um zu spüren was der Körper heute so von sich gibt...oder nicht von sich gibt. EDS an sich hat schon die Gestalt eines Damokles Schwertes. Die Disziplin hat mit dabei geholfen nicht starr darunter zu liegen sondern mich so seitwärts, vorwärts und Rückwärts zu bewegen, dass es mich nicht immer trifft wenn es sich zu lösen droht. Es ist ganz besonders wichtig sich auf all das zu konzentrieren, was man verbessern, lösen oder kontrollieren kann.
Nun - es gibt aber natürlich auch Umstände die man nicht kontrollieren kann. Und so ein Umstand hat auch mich getroffen und das Virus hat mich erfasst. Seit 6 Jahren habe ich es geschafft keine zusätzlichen Erkrankungen an das "Schwert zu heften" da ich wusste, wie stark mich etwas zusätzliches schwächen und in die Knie zwingen würde. Da lag ich nun kaum fähig mich zu bewegen. Nun jeder der mich kennt weiß, dass ich in ständiger Bewegung bin und dies meine allerbestes Heilmittel ist.
Solange unser Körper in Bewegung ist hat er die Möglichkeit auszugleichen. Verschiebungen zu berichtigen und alles im Fluss zu halten. Sind wir aber zum Stillstand gezwungen, dann fühlt es sich so an als würde unser Körper langsam "zerfliessen" und jeglichen Halt verlieren. Hier war sie also - meine Grösste Angst. Die Bewegungslosigkeit. Eine Woche lang war es mir kaum möglich meinen so müden und schmerzenden Körper in Bewegung zu versetzen. Da lag ich nun mit zwei Gegenspielern. EDS und Corona. Beide feuerten sich gegenseitig an und es schien mir fast so als würden sie täglich im Wettkampf stehen wer nun als "in die Knie Zwinger" durchgeht. Denn wäre EDS nicht hätte ich das Virus nicht so sehr gespürt. Wäre das Virus nicht gewesen hätte ich EDS weiterhin gut leiten können. So stand ich nun zwischen zwei Wänden. Vorne ging es nicht weiter und hinten ging es nicht weiter weil sich beide einen Kräftekampf lieferten. Ich verfiel in eine Starre die ich schon sehr lange nicht mehr verspürt hatte.
Ich war sozusagen einer doppelten "Freiheitsberaubung" ausgeliefert. Jener meines Körpers und jener der Behörden da ich meinen täglichen Routinen der Bewegung an der frischen Luft nicht nachkommen könnte. Also saß ich da mit dem Gefühl eines starren Körpers und einer starren Seele. Tage kamen mir vor wie Wochen und eine Woche wie ein ganzes Monat.
Ich hatte das Glück, dass die Sonne "mit mir war" und ich zumindest auf dem Balkon etwas Freiheit einatmen konnte.
Da ich weder vorwärts noch zurück wusste, blieb also nur ein Ausweg. Nach oben.
Also in meinen Kopf. Die Wochen vor Corona waren bereits sehr herausfordernd und da dache ich bereits an der Grenze zu sein. Ich hatte mich gefühlt als wäre ich vom "Regen" völlig durchnässt gewesen und würde nur darauf warten die Sonne wieder zu erblicken um mich "trocknen und wärmen" zu können. Als ich aber so dasaß und in den Himmel blickte überkam mich plötzlich ein Gefühl der Dankbarkeit und Ehrfurcht. Mir wurde bewusst, dass ich alles habe, solange ich meiner Freiheit nicht beraubt werde alles Mögliche zu tun um mich um meine Gesundheit zu kümmern. Mir wurde auf einmal bewusst, dass ich in den Wochen davor vergessen hatte, wie es sich angefühlt hat als ich noch in der völligen Starre lebte. Denn diese zwei Wochen der "Starre, der Bewegungslosigkeit und des Schmerzes" haben mich wieder daran erinnert, wie ich mich über 20 Jahre gefühlt habe und wie weit ich doch eigentlich gekommen war. Diese momentane Hilflosigkeit hat mich daran erinnert wie gut es mir doch eigentlich gegangen war. Denn wenn man mit chronischen Schmerzen lebt kann man keine "Schmerzlosigkeit" erwarten sich aber über jeden Moment freuen in dem man sagen kann "Heute war ein guter Tag und ich hatte."
Mir wurde auf einmal bewusst, dass es, auch wenn man stets das Gefühl hat im Regen zu stehen, es manchmal sogar mehr Regen braucht um zu sehen, dass es vielleicht doch mehr Sonne gab als man dachte. Man sich einfach nur unter eine Regenwolke "gestellt hatte".
Ein Ritual das ich dann gleich wieder aufgenommen habe war aufzuschreiben wofür ich dankbar bin. Denn wenn der Regen nur so auf uns herein prasselt, ist es ganz wichtig, dass wir nicht aufhören uns an Sonnenstrahlen "festzuhalten". Ich hatte die Sonne ja, habe mich aber so auf den Regen konzentriert, dass es mir erst aufgefallen ist als der Himmel über mich herein zu brechen drohte.
Ich habe mich voll und ganz auf den Moment konzentriert in welchem ich wieder aus der Haustüre gehe, mich frei bewegen und meinen Ritualen und Bedürfnissen "freien Lauf" lassen kann. Jeden Morgen und jeden Abend habe ich mir diesen Moment vorgestellt weil ich wusste, dass er wieder kommen würde. Ich musste nur Geduld mit mir haben. Mit meinem Körper und meiner um Hilfe schreienden Seele. Ich habe ganz ruhig geatmet und mir gedanklich alle Farben und alle Freunden ins Gedächtnis gerufen.
Unser Körper trägt uns durch die Welt....aber unser Geist trägt uns durchs Leben.
Das sollten wir niemals vergessen denn wir haben die Kraft der Sonne in uns wenn es "draussen" nur regnet und kein Ende in Sicht ist. Auch wenn wir die Sonne Tagelang nicht sehen - gebt nicht auf nach ihr Ausschau zu halten und "malt" euch die guten Tage ins Gedächtnis. An ihnen könnt ihr euch festhalten und wärmen. Machmal wenn wir selbst keine Rat mehr wissen und hilflos umherschauen können wir unsere Gedanken und unsere Zuversicht als Treibholz nutzen und uns einfach treiben lassen. Uns allen geht irgendwann einmal die Kraft aus und dann ist es wichtig Halt zu suchen...an den guten Tagen die wir wieder schätzen lernen.
Denn es braucht Sonne UND Regen um Farben zu sehen ...
Ich wünsche euch allen von ganzem Herzen viele dieser guten Tage um aus dem Regen gestärkt der wärmenden Sonne entgegen zu gehen!
Eure Katharina
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